Praterstern – Unsere Werte in Gefahr

Jedes Verbrechen ist empörend und ein schwerer Schaden für das Opfer und dessen Angehörige. Im Umgang mit Verbrechen ist aber noch einiges andere zu bedenken. Die Waffenverbotszone am Praterstern definiert die Gegend offiziell als gefährlich. Das dient nicht nur der Verbrechensbekämpfung, sondern auch der Selbstdarstellung als überlegener, anständiger Mensch.

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Unsere Werte

Wir definieren Werte. Die Werte geben uns die Richtung im Leben vor, sie dienen als Orientierungspunkte. Im geordneten Alltag streben alle anständigen Menschen nach denselben Werten. Aber es gibt sie doch: die Unanständigen. Sie verletzen unsere Werte, sie verstoßen gegen die Regeln, sie widersetzen sich.

Wir beobachten Zusammenhänge: Wo halten sie sich auf, diese Unanständigen? Wie erklären wir ihr Verhalten? Wodurch unterscheiden sie sich von uns? Hilfreich bei diesen Gedanken ist, wenn die Polizei die verdächtigen Gruppen gleich offiziell definiert, zum Beispiel mit Waffenverbotszonen. Wir haben es schon immer gewusst: die Gegend ist gefährlich.

Die Verdächtigen

Das Böse hat jetzt einen Ort: es ist am Praterstern. Wer oder was genau ist aber böse? Bei genauerem Hinsehen verschwimmen die Grenzen. Ist das Böse wirklich eine persönliche Entscheidung, die von den Menschen selbst getroffen wird, oder ist es ungleich verteilt zwischen verschiedenen Gruppen, die an einer sozialen Auseinandersetzung teilnehmen? Böse sind immer die anderen, diejenigen, die nicht zu uns gehören und unsere Werte nicht teilen. Die eigene Lebensweise ist immer die beste.

Was sagen noch einmal unsere Werte? Gleichheit ist laut einer Studie einer der wichtigsten Werte der ÖsterreicherInnen. Wenn ich mich über meine Werte definiere, dann lebt niemand die Gleichheit so überzeugend wie ich selbst. In diesem Satz dürfte ein Widerspruch stecken.

Die Zone erfüllt auch die Funktion eines Sündenbocks. Solange ich nicht hingehe, kann ich gar nicht zu den Unanständigen gehören, die sich dort aufhalten oder aufgehalten haben. Falls ich doch hingehe, habe ich ganz bestimmt nichts Näheres mit den Menschen dort zu tun. Ich gehe ja nur durch. Wo der Anstand zu finden ist, sagt uns heute die Obrigkeit. Es werden klare Grenzen gezogen, innerhalb gelten andere Gesetze als außerhalb.

Die Zone der Minderprivilegierten

Wir sehen, dass Werte definiert werden und auch gleich wieder verletzt werden. Werte enthalten Widersprüche. Man verwendet Werte immer auch dazu, um sich selber als überlegen darzustellen. Ist das Böse freie Entscheidung? Wie landet man eigentlich in einer Randgruppe? Wer gehört zur Zone und wer geht nur schnell durch? Es ist eine Machtfrage.

Quellen:
– über Distinktion: Bourdieu, Pierre. 1984. Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übersetzt von Bernd Schwibs und Achim Russer. Dritte, durchgesehene Auflage. 1979. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
– über Werte: European Social Survey Round 8 (2016), www.europeansocialsurvey.org
– über Widersprüche: Marx, Karl. 1968 [1867-1894]. Das Kapital. MEW Band 23. Berlin: Dietz.

3 thoughts on “Praterstern – Unsere Werte in Gefahr”

    1. European Social Survey Round 8, eingeschränkt auf Österreich: 90,5% der ÖsterreicherInnen (95%-Konfidenzintervall-Breite 2,6%) sagen zumindest „gleicht mir etwas“ auf die Frage: „Für sie (ihn) ist es wichtig, dass jeder Mensch auf dieser Welt gleich behandelt wird. Sie (er) glaubt, dass jeder Mensch die gleichen Chancen im Leben haben sollte.“ Der Prozentsatz ist der dritthöchste von allen 21 wertebezogenen Fragen. Die Antwortmöglichkeit „gleicht mir etwas“ ist dabei die drittstärkste Form von Zustimmung. Insgesamt 69,2% sagen bei dieser Frage zumindest „gleicht mir“ (Konfidenzintervall-Breite 4,1%). Das ist der fünfthöchste Wert von den 21, und „gleicht mir“ ist die zweitstärkste Form von Zustimmung. Bei den „gleicht mir sehr“-Antworten sind es 29,1% (Konfidenzintervall-Breite 4,0%), was dem siebten Rang von 21 entspricht.

  1. Resi Oberhuber-Unterhuber

    Die Marktwirtschaft funktioniert nicht mehr: warum verdienen die Chefs, Manager noch immer so viel?

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