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Weblog der Grünen Leopoldstadt


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Mit dem Sozialstaat leben

Über die Ausgestaltung des Sozialstaats wurde schon viel geschrieben. Ein Großteil der Diskussion scheint sich um die Frage zu drehen, ob man mehr oder weniger Sozialstaat braucht. Diese Frage ist so allgemein, dass sie die speziellen Probleme der Betroffenen übersieht. In diesem Beitrag möchte ich aufzeigen, dass es mehr gibt als nur die Frage, ob der Staat mehr oder weniger Unterstützungen auszahlen soll. Ich werde das an einem der wesentlichen Themen der Verteilungsproblematik zeigen, nämlich am Beispiel der Armut.

Armut in der Gesellschaft betrifft uns alle

Ein paar Zahlen

Ein Indikator für Armut misst mehrfache Ausgrenzung. Dabei spielen Einkommen, Arbeitslosigkeit und die Leistbarkeit von konkreten Gütern und Dienstleistungen eine Rolle. Die Statistik Austria gibt 10% als Armutsquote für Wien im Jahre 2016 an, gemessen mit diesem Indikator. Die Änderungen in den Jahren davor waren nicht sehr groß. Für die Leopoldstadt ist das Nettojahreseinkommen pro ArbeitnehmerIn und pro PensionistIn niedriger als in ganz Wien. Daraus kann man keine Aussage über die Armut in der Leopoldstadt ableiten. Man müsste wissen, wie sich das Einkommen auf große und kleine Haushalte verteilt und ob andere Ausgrenzungsgefährdungen vorliegen. Für solche Aussagen sind die untersuchten Fallzahlen viel zu gering.

Betroffene Menschen

Der Wiener Sozialbericht 2015 sagt uns einiges über die von Armut betroffenen Bevölkerungsgruppen. Viele Alleinerziehende sind darunter, insbesondere kinderreiche Familien beziehen die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Dadurch gibt es viele Kinder unter den EmpfängerInnen der Mindestsicherung. Die Grundversorgung für AsylwerberInnen ist ein weiteres Beispiel einer Sozialleistung, die viele Armutsgefährdete und manifest Arme bekommen. Junge Erwachsene, die bereits erwerbstätig sind, haben oft noch sehr niedriges Einkommen. Pensionistinnen, deren Pension sehr niedrig ist, leben an oder unter der Armutsschwelle.

Was Armut im Alltag bedeutet

So weit die Statistiken und Verwaltungsdaten. Was heißt das aber für die Situation der Betroffenen?

Scham: Eine Studie, die auf Interviews in Deutschland mit seinen Hartz-IV-Gesetzen basiert, gibt einige subjektive Eindrücke wieder. Sozialhilfe-EmpfängerInnen fühlen sich mitunter von der Verwaltung gegängelt, leiden unter schikanösen Bedürftigkeitsprüfungen, haben in den ihnen vermittelten Mini-Jobs wenig Chancen, sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren, weil sie sonst als unkooperativ gemeldet werden. Das bürokratische System kann seine Überlegenheit dadurch ausdrücken, dass AntragstellerInnen warten gelassen werden und schließlich ohne Entschuldigung ohne Eile bedient werden. Es gibt im Alltag die üblichen Bezeichnungen Sozialschmarotzer, Faulenzer usw.

Schulerfolge: In den USA in den 1990er-Jahren wurde festgestellt, dass niedriges Familieneinkommen in den frühen Jahren der Kindheit einen deutlichen Einfluss auf spätere Schulleistungen und Leistungen der jungen Erwachsenen hat.

Aktivierung: Interviews mit österreichischen BMS-EmpfängerInnen zeigen, dass viele Betroffene aktiviert werden, aber nicht unbedingt im Sinne des Arbeitsmarktes. Es werden persönliche Krisen aktiv bewältigt, oder es wird aktiv ein eigenes Einkommen erwirtschaftet, an den Behörden vorbei in rechtlichen Grauzonen. Aktivierend kann die Vorgabe einer Tagesstruktur in therapeutischen Einrichtungen oder Beschäftigungsinitiativen wirken. Eine Form der Aktivität, die von einer interviewten Person beschrieben wurde, besteht darin, gegen die eigene Einstufung als Behinderte anzukämpfen.

Eingreifen

Die staatlichen Maßnahmen beeinflussen das Leben der Betroffenen. Die Erfahrung der Armut ist von großer Bedeutung für den Alltag, für die eigenen Möglichkeiten, die Politik kann etwas bewirken und wirkt auf verschiedene Weise.

Wir brauchen nicht nur eine Debatte über mehr oder weniger Sozialstaat. Es geht nicht nur darum, dass Menschen durch höhere oder niedrigere finanzielle Zuwendungen für den Arbeitsmarkt verfügbar gemacht werden. Die Probleme sind nicht damit gelöst, dass ExpertInnen die optimale Höhe der Sozialleistungen berechnen.

Wir sollen uns die Frage stellen, welche Rolle wir als Staat im Leben der Betroffenen spielen. Es ist eine Frage des Zusammenlebens. Wir sind alle betroffen.

 

Quellen:
– Becker, Jens und Jennifer Gulyas. 2012. Armut und Scham – über die emotionale Verarbeitung sozialer Ungleichheit. Zeitschrift für Sozialreform 58 (2012), Heft 1:83-99.
– Duncan, Greg J., W. Jean Yeung, Jeanne Brooks-Gunn and Judith R. Smith. 1998. How Much Does Childhood Poverty Affect the Life Chances of Children? American Sociological Review, Bd. 63, Nr. 3 (Juni 1998):406-423.
– Globisch, Claudia, and Fabian Madlung. 2017. Aktivierende Sozialpolitik zwischen Systemimperativ und Eigensinn: Eine Untersuchung der Effekte und Aneignungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Österreich. Österreichische Zeitschrift für Soziologie 42, Nr. 4 (2017):321-43.
– Magistrat der Stadt Wien, MA 24 (Hg.). 2015. Wiener Sozialbericht 2015. Wiener Sozialpolitische Schriften. Bd. 8. Wien.
– Statistik Austria. 2017. Standard-Dokumentation. Metainformationen (Definitionen, Erläuterungen, Methoden, Qualität) zu EU-SILC 2016. Wien.
– Taxacher, Ina und Gustav Lebhart. 2016. Wien – Bezirke im Fokus. Statistiken und Kennzahlen. Online Broschüre. Hrsg. Magistrat der Stadt Wien, MA 23. Wien.


Ein Kommentar

Die Leopoldstadt erhält ein Jugendparlament

Eine langjährige Forderung der Grünen kommt endlich ins Laufen. Nicht nur, dass es endlich eine Kinder- und Jugendkommission im 2. Bezirk gibt, die regelmäßig tagt, es wird auch sehr konstruktiv an einer Etablierung eines Jugendparlaments gearbeitet.

Scooterdemo1Wozu ist Mitbestimmung Jugendlicher notwendig?

Ein Kinder- und Jugendparlament stellt eine konkrete Umsetzung von Jugendpartizipation dar.

Soll heißen, es ist der Versuch Jugendliche – besonders diejenigen, die noch nicht wählen dürfen – stärker in politische Entscheidungen einzubinden.

In Jugendparlamenten nehmen Vertreter Interessen für Kinder  und Jugendliche gegenüber den jeweiligen Bezirk wahr. Dabei werden Fragen zur Schulhofgestaltung, zu Radwegen oder Freizeitanlagen ebenso behandelt wie auch Probleme des Umweltschutzes. Mögliche Lösungsvorschläge werden in Form von Anträgen den Politikern vorgelegt. Es ist auch möglich, dass das Jugendparlament einen eigenen Etat zur Verfügung hat, über den es frei verfügen kann.

Dagegen ist ein Kinder- und Jugendforum eine niedrigschwellige partizipatorische Form eines Jugendparlamentes. Hierbei kann jeder Jugendliche sich in Projektgruppen beziehungsweise Arbeitsgruppen engagieren und selbst solche gründen.

IMG_2387Der Vorteil von gewählten Räten oder Parlamenten besteht in der Möglichkeit einer langfristigen und wirklich verbindlichen Arbeit. Außerdem erhalten Kinder und Jugendliche einen Einblick in die Politik der Erwachsenen. Nachteilig sind der aufwendige Wahlvorgang und die Tatsache, dass nicht jedem die Möglichkeit gegeben ist, sich zu beteiligen.

In der Leopoldstadt wurde heute in der Kinder- und Jugendkommission das vom Verein Wiener Jugendzentren etablierte Modell WORD UP! vorgestellt. Laut Homepage hat die Leopoldstadt neben Alsergrund, Simmering, Brigittenau, Donaustadt und Liesing schon ein Jugendparlament dieser Art……;-), was uns Grünen Leopoldstadt doch glatt entgangen ist……..

http://typo.jugendzentren.at/vjz/index.php?id=5558_068_oma_in_action

Interessierten empfehle ich diese Seite inklusive den auf dieser Hompage angebotenen word up! Leitlinien